Aktuelles: Karl-Heinz Groth würdigt das Gründungsmitglied der WLG

Heinrich Detering zugewählt zum Orden Pour le Mérite

Autor*in CBK Online-Redaktion
Erschienen am: 09.10.2023


Professor Dr. Heinrich Detering ist ein begnadeter Reiseführer durch die Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts und zudem ein einzigartiger Erklärer des Sprach- und Literaturlandes Schleswig-Holstein. Als wenn das für ein reiches Literaturleben nicht schon ausreichen würde, erleben wir ihn gleichzeitig als Dichter in Lyrikbänden wie Wrist, Untertauchen oder An der Nachtwand: In eindrucksvollen Bildern erzählt er nicht nur von Katastrophen, sondern auch von hoffnungsfrohen Ausblicken wie im Gedicht „Möglichkeiten des Glücks“.

1959 im holsteinischen Neumünster geboren, macht er nach einer glücklichen Kindheit in Lemgo das Abitur und studiert in Göttingen, Heidelberg und im dänischen Odense Germanistik, Theologie, Philosophie und Skandinavistik. Promotion und Habilitation folgen kurz hintereinander. Nach einer Vertretungsprofessur in München bekommt er den Ruf an die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Professor für Neuere Deutsche Literatur und Neuere Nordische Literaturen. Während der Kieler Jahre hat sich der eloquente Professor neben seiner akademischen Arbeit intensiv mit dem Schaffen der schleswig-holsteinischen Schriftsteller auseinandergesetzt: mit Thomas und Heinrich Mann, Theodor Storm, Friedrich Hebbel, Klaus Groth und Wilhelm Lehmann. Seine Engagements als Vize-Präsident der Thomas-Mann-Gesellschaft, Präsident der Storm-Gesellschaft (2003-2015) und Gründungsmitglied der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft (2004) unterstreichen Deterings enge Verbundenheit mit dem heimatlichen Literaturbetrieb. Darüber hinaus hat er sich beim dänischen Nachbarn durch seine Andersen-Übersetzungen einen unverrückbaren Namen gemacht, der ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Aarhus, den Hans-Christian-Andersen-Preis und schließlich die Ernennung zum Ritter des Danebrog-Ordens wegen seiner Verdienste um die kulturelle Vermittlung zwischen den beiden Nationen eingebracht haben. Auszeichnungen über Auszeichnungen reihen sich aneinander so wie die kaum noch überschaubare Vielzahl seiner Jurorentätigkeiten in den bedeutenden Literaturgesellschaften. Seine nun schon in 6. Auflage (Reclam) vorliegende Biographie über Bob Dylan ist ein weiterer Mosaikstein der Schaffensintensität Deterings.

Die Schublade ist für diesen „Poesiekopf, Radiokopf, der sehr viele Empfangsmöglichkeiten hat“ (Hans Magnus Enzensberger), noch lange nicht voll. Ich erlebte ihn vor einigen Jahren in Heide anlässlich der Jahrestagung der Klaus-Groth-Gesellschaft zum Thema: „Groth und sein Quickborn“. Welch ein Vergnügen, Heinrich Detering und seinem kongenialen Partner Bernd Rachuth bei ihren Rezitationen lauschen zu dürfen.

Das Gedicht

Aanten int Water,
wat vörn Gesnater.
Aanten in Dik,
wat vörn Musik!

das hier vorgetragen wurde, umfasst 84 köstliche Zeilen mundartlich-musikalischer Lautmalerei. Da schnattert und schnötert und quakt es heiser vom Murt (Mutt, Morast) herauf, sogar aus dem Deich heraus (in Dik).

Die Auseinandersetzung mit Wilhelm Lehmann, dem wohl bedeutendsten Naturlyriker des 20. Jahrhunderts, beginnt Detering mit einem Lob des „Bukolischen Tagebuchs“, abgedruckt in „Merlinzeit“ (Wallstein). Hier, in Lehmanns Tagebüchern, findet Detering die Natur beschrieben, wie er sie sich in seiner Kindheit gewünscht hatte: Die Landschaft als Landschaft. Er schreibt: „Es gibt hier Schilderungen von großer Zartheit, es rührt einen, wie sie dastehen.“ Alles Verfremdete und Verfremdende ist beiden, Lehmann und Detering, suspekt. Welch eine schöne Übereinstimmung! Doch dann dieser Verriss in seinem Aufsatz „Der Regen wärmt wie Drachenblut“, wo er Lehmanns Lyrik als „Mythenmechanik“ abtut: „Kein Weizenfeld ohne Demeter, keine Apfelbaumwiese ohne Hesperiden, kein Badesee ohne Undine, kein Gewässer ohne Ophelia, keine sommerliche Kuhherde ohne die Rinder des Helios.“ Seinen Vorwurf, Lehmann wolle sich mit Naturlyrik eine heile Welt herbeizaubern, hat Detering später selbst in einem Vortrag während der Lehmann-Tage entkräftet. Das hatte Größe.

Nun wird dieses Bündel an Geist und Vitalität in den Orden Pour le Mérite aufgenommen. Er ist mit dem kürzlich verstorbenen Martin Walser in bester Gesellschaft, auch die Nobelpreisträgerin Herta Müller gehört dazu.

Herzlichen Glückwunsch. Fühlen Sie sich wohl auf dem Parnass, dem Musenberg der Dichtkunst, lieber Heinrich Detering. Das wünschen Ihnen die Mitglieder der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft.

*

Der Orden geht auf Friedrich II. zurück und war als Auszeichnung für besondere Tapferkeit vor dem Feinde vorgesehen. Seit 1952 besteht der Adressatenkreis ausschließlich aus Künstlern und Gelehrten, die auf ihrem Gebiet Herausragendes geleistet haben. Schirmherr ist der Bundespräsident.

Karl-Heinz Groth (Foto © Jens Gerdes/DA)

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